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G8-Prozess in Genua [tagesschau 13.10.05]

G8-Prozess in Genua
45 Polizisten wegen Misshandlungen angeklagt

Vier Jahre nach den blutigen Ausschreitungen am Rande des G8-Gipfels in Genua, bei denen der Student Carlo Giuliani erschossen wurde, hat der Prozess gegen 45 italienische Polizisten, Soldaten und Militärärzte begonnen. Sie sollen festgenommene Demonstranten, darunter auch Deutsche, misshandelt haben.
[Von Jörg Seisselberg, ARD-Hörfunkstudio Rom]

Italien tut sich schwer mit dem spektakulären Prozess. Fernsehen und Radio, aber auch die Zeitungen erwähnen den Auftakt des Maxiverfahrens, wenn überhaupt, nur in kleinen Meldungen. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten am Vormittag einige Nebenkläger, Italiens Öffentlichkeit aber gibt sich weitgehend desinteressiert.
In Genua geht es um eines der dunkelsten Kapitel der italienischen Polizei. Vor Gericht stehen 45 Angeklagte, darunter der Vizepolizeipräsident von Genua und der stellvertretende Chef einer Bereitschaftstruppe. Sie sollen dafür verantwortlich sein, dass während des G8-Gipfels vor vier Jahren Polizisten Demonstranten schwer misshandelt haben.
Tage beispielloser Gewalt
Grafik: Ausschreitungen in Genua 2001]
Rückblende: Genua erlebte während des Gipfels 2001 Tage beispielloser Gewalt. Zunächst hatten radikale G8-Gegner für schwere Unruhen gesorgt, danach soll es von Seiten der Ordnungskräfte zu schlimmen Übergriffen gekommen sein. Auch friedliche Demonstraten, so der heutige Vorwurf der Staatsanwälte, wurden während und nach ihrer Festnahme von Polizisten zusammengeschlagen, getreten und auf andere Weise misshandelt. Unter den Opfern waren diverse Ausländer, darunter auch Deutsche.
Schläge und Stiefeltritte
[Bildunterschrift: Die Situation eskalierte in Genua]
Die Anklage in Genua stützt sich auf Aussagen der Demonstranten, und auf das, was Marco Poggi, ein bei der Polizei beschäftiger Sanitäter, nach Monaten des Schweigens Preis gegeben hatte. Unglaubliche Gewaltszenen habe er in der Kaserne Bolzaneto mit ansehen müssen, so der Sanitäter zu den Staatsanwälten. Festgenommene Demonstranten seien mit gespreizten Beinen und Armen an die Wand gestellt worden, immer wieder hätten Polizisten und Aufsichtsbeamte auf sie eingeschlagen. In einem Fall, so Poggi, habe er beobachtet, wie Beamte einen Demonstranten auf die Toilette schleppten und ihn mit Fäusten und Stiefeltritten misshandelten.
Auch einige Mediziner, schildert der Kronzeuge, hätten sich vom Rausch der Gewalt in der Kaserne anstecken lassen. Die schlimmste Szene: Ein Arzt habe einer Demonstrantin brutal ein Piercing aus dem Gesicht gerissen und sie dabei schwer verletzt. Die Zeugenaussage des Sanitäters bestätigt die Schilderungen vieler Opfer, die angeben, sie seien von Polizisten in der Kaserne Bolzaneto immer wieder auf brutale Weise geschlagen und getreten, teilweise auch von den Amtsärzten in der Kaserne misshandelt und erniedrigt worden.
Auftakt eines Mammut-Verfahrens
[Bildunterschrift: Gewalt auf beiden Seiten]
Es wird damit gerechnet, dass der Prozess in Genua Monate, wenn nicht sogar Jahre dauert. 240 Demonstranten treten als Nebenkläger auf, 50 Anwälte sind beteiligt, insgesamt 600 Zeugen geladen - darunter Justizminister Roberto Castelli, der kurz nach den umstrittenen Vorfällen in der Kaserne zu Gast war, von vermeintlichen Übergriffen aber nichts bemerkt haben will.
Bereits Freitag soll, ebenfalls in Genua, ein weiteres G8-Verfahren beginnen. Es richtet sich gegen Polizisten, die während des Gipfels in die Diaz-Schule gestürmt sind, in der damals diverse Demonstranten übernachteten. Auch dabei soll es zu schweren Übergriffen gekommen sein. Polizisten, so die Vorwürfe, hätten wahllos Demonstranten geschlagen und getreten. Der Einsatz war zunächst mit der Behauptung gerechtfertigt worden, die G8-Gegner hätten in der Diaz-Schule Molotow-Cocktails gelagert. Später gab aber ein Polizist zu, dass er diese Brandsätze selbst - auf Anweisung von Vorgesetzten - in die Schule geschmuggelt hatte.
Nicht ausgeschlossen ist, dass die G8-Verfahren irgendwann vorzeitig eingestellt werden. Die Regierung Silvio Berlusconi arbeitet derzeit an einem Gesetz, das die Verjährungsfristen für nicht Vorbestrafte erheblich verkürzen soll. Davon könnten auch die angeklagten Polizisten in Genua profitieren.

Prozessbeginn in Genua [Jörg Seisselberg, ARD Rom].
Stand: 13.10.2005 11:06 Uhr